Chronik der Familie Heller

( Familienchronik Heller beschrieben von dem ältesten Sohn Adolf Christian Carl HELLER des Pastors Karl August HELLER )

Die Familie Heller stammt aus Schmalkalden und ist in der Stadt selbst und den umliegenden Ortschaften Herrenbreitungen, Bad Lobenstein, Seligenthal von alten Zeiten her ansässig. Wie uns Herr Rudolf Matthias, Besitzer der Rosenapotheke und Vorsitzender des historischen Vereins zu Schmalkalden schrieb, ist der Name Heller dort seit dem 17.Jahrhundert unter Kaufleuten, Fabrikanten und in der Gelehrtenwelt nicht selten gewesen. Ob unser Urgroßvater aus Schmalkalden oder einem anderen Orte in der Nähe stammte, ist nicht bekannt. Nur dass zwei seiner Schwestern in der Stadt lebten, ist uns bekannt.

Das Kirchenbuch der Gemeinde Wildungen enthält folgende Nachrichten:

Organist Conrad Heller starb dahier am 07.06.1779 im Alter von 51 Jahren.
Dessen Witwe Anna Magdalene Heller starb dahier am 24.09.1799.

Der Eintrag ist ausführlich und lautet:

Anna Magdalene Heller, die Witwe des Herrn Brunnenkommissars Johann Conrad Heller, hiesigen Organisten und Hansenbruders, geboren 17.12.1731. Ihr Vater war der als Bürgermeister verstorbene Metzgermeister Lorenz Schleiermacher. Sie wurde kopuliert mit Herrn Organist Heller, der reformiert und bei Schmalkalden zu Hause war. Am 07.07.1751, hatte mit demselben 12 Kinder, davon noch 3 Töchter und 1 Sohn Johann Moritz leben. Nachdem sie im Februar 1799 in ihrem Hause gefallen, blieb sie bettlägerig bis an ihr Lebensende und starb alt 68 Jahre 10 Monate 7 Tage.

Johann Moritz Heller, Sohn des vorigen ist dahier geboren am 14.01.1768 hatte zu Paten Herrn Eitel Moritz Stracke und dessen Ehefrau Anna Barbara und ist im Jahre 1781 konfirmiert, verheiratete sich am Ostermontag, den 06.04.1801 zu Hilmers im Amte Landeck im Fürstentum Hersfeld als fürstlich Waldeckscher Brunnenkassierer und Accisen Erheber dahier, nachdem er allhier seit Pfingsten 1793 bis Ostern 1799 Mädchenschullehrer gewesen war und selbst abgedankt hatte, mit Christine Elisabeth Schmitt, weiland Johann Peters Schmitt's Lizenziat und gewesenen fürstlich Hesseschen Amtmannes, des Amtes Landeck im Fürstentum Hersfeld, welcher zu Schenklengsfeld gewohnt hat, hinterlassener ehelicher Tochter.

Diese neuen Eheleute kamen Sonnabends den 11.04.1801 hier in Wildungen an. Er starb dahier, nachdem er auch Bürgermeister gewesen war, am 21.05.1839 im Alter von 71 Jahren, 4 Monaten, 6 Tagen als Brunnenkommissarius und hinterließ seiner Ehefrau Christine Elisabeth geb. Schmitt gestorben, den 05.03.1848, 3 mayorenne Kinder :

1. den Pfarrer Karl August Heller zu Adorf,

2. die Ehefrau des Kaufmanns Georg Schotte, Charlotte geborene Heller, geb. 25.02.1806, kopuliert den 10.10.1828, gest. 04.10.1873,

3. die Ehefrau des Justizrats, späteren Konsistorialrats Gleisner zu Arolsen, Ammandine geb. Heller geb. den 27.02.1803 kopuliert den 10.02.1826 gestorben 14.10.1884.

Seine Schwester Christine Elisabeth Heller, 2.Tochter ihrer Eltern, geboren 02.11.1765 konfirmiert 1799, wurde Dienstag den 02.12.1800 in der Betstunde kopuliert mit dem hiesigen Mädchenschullehrer Johann Christian Arnold, gebürtig aus Herrenhausen im Amte Eisenberg, welcher seit Ostern 1799 gedachte Schulstelle begleitete. Karl August Heller, 1.Kind des Brunnenkassierers Johann Moritz Heller u. dessen Ehefrau Christine Elisabeth geb. Schmitt wurde geboren den 08.01.1802, frühmorgens 1/2 2 Uhr und am 10.01.1802, am 1.Sonntag nach Ephanias, nachmittags im Hause getauft. Seine Paten waren: Herr Johann Justus Schmitt, Pfarrer zu Hilmers im Amte Landeck, Fürstentum Hersfeld, als der Kindbetterin Bruder, der zufällig zu Besuch gegenwärtig war und Jungfer Wilhelmine Charlotte Heller, des Täuflings Vater ältesten Schwester, letztere war geboren den 14.10.1754 u. konf. 1767. Er wurde konfirmiert am 09.06.1816, Trinitatisfest.

Der Vorfahr Conrad Heller muss als Organist ein angesehener Mann durch seine Verheiratung und Stellung als Kassierer am Wildunger Brunnen zu Vermögen gekommen sein, weil sein Sohn Johann Moritz glaubte studieren zu können, obgleich er seinen Vater schon im 10. Lebensjahre verloren hatte.

Sein Vormund war ein Rat Mogk. Gute Vormundschaften behielten meistens die Gerichtspersonen in ihrer Verwaltung und Rat Mogk hinterließ wohlhabende Kinder. Des Großvaters Verdacht, das dies auf seine Kosten geschehen sei, wurde wohl dadurch bestätigt, dass der mit dem Vormunde verwandte Hessische Minister Scheffer in den 40er Jahren meinem Vater 100 Taler schenkte zur Sühnung einer alten Schuld, die seine Vorfahren an unseren begangen hatten. Diese hat mein Vater mit seinen Schwestern geteilt. Ein Jahr nach dem Tode des Großvaters wurde die Münze, ein großes aus Stein gebautes Gebäude, das früher von dem Gräflichen Münzmeister bewohnt gewesen war, und dem Zwecke gedient hatte, den sein Name andeutet, für 300 Taler verkauft, und im letzten Lebensjahr erzählte der Großvater, dass er als 11 jähriger Knabe in dem Termin gegangen sei, um selbst zu bieten was natürlich nicht zugelassen wurde.

16 Jahre alt wollte der Großvater das Gymnasium zu Corbach beziehen, um alsdann studieren zu können. Es war ein harter Schlag für ihn zu hören, dass er kein Vermögen habe. Er musste seinem Vormund noch dankbar sein, dass dieser den 16 jährigen die Mädchenlehrerstelle in Wildungen verschaffte. Seine Schwester verheiratete sich mit seinem späteren Nachfolger, dem Lehrer Arnold zu Wildungen. Als er nun die Jungfrau Christine Schmitt, Tochter das Amtmanns Schmitt zu Schenklengsfeld, der in Hilmers wohnte, kennen lernte, fing er die Lehrerstelle aufgebend ein kaufmännisches Geschäft an und führte alsbald seine liebe Christine heim. Er war zugleich Brunnenkassierer und behielt auch noch eine längere Zeit die Organistenstelle, war auch lange Jahre Bürgermeister zu Wildungen.

Johann Moritz war eine sehr ruhige, überlegsame, rastlos tätige Persönlichkeit, brachte es als Kaufmann soweit, dass er sogar eine große Tuchmacherei anfangen konnte. Er kaufte sämtliche Wolle an der Eder und hatte bis zu 60 Webstühle im Gang, stellte aber die Weberei ein, als die Spinnmaschinen bekannt wurden. Fürst Friedrich von Waldeck versprach dem Großvater alles Mögliche, allein der Großvater wusste, dass des Fürsten Wille zwar gut, aber seine Tasche leer war und seine eigenen Mittel reichten nicht aus. Deshalb wagte er das Unternehmen nicht. Er stand bei dem Fürsten in hoher Gnade. Er erhielt als Brunnenkommissar außer seinem Gehalt von je tausend Flaschen, so er mehr als 15.000 verkaufen würde, 5 Taler. Er brachte es bis zu 72.000 .

Unter ihm stand der Wildunger Brunnen in großer Blüte. Am Sonntag kamen Soldaten aus Waldeck, die nur anständige Leute in den Tanzsaal eintreten ließen. Trotzdem den Waldeckern das Spiel verboten war, rollte das Rades Kugel.

Die Gebäude der Tanz- und Spielsaal, das Badehaus waren recht einfach. Die Musiker waren aus Böhmen. Der Übelstand war, dass das Land Waldeck, die Stadt Wildungen unter Fürst von Waldeck Teil an dem Brunnen hatten, keiner aber etwas tun wollte.

Nach Großvaters Tode 1836 ging es mit dem Brunnen sehr herunter. Als Beweis seiner fürstlichen Gnade erzählte der Vater, habe der Großvater oft ein Stück Wild, einmal ein Wildschwein von 150 Pfund geschenkt bekommen. Die Tuchfabrikation brachte den Großvater auch dazu, eine Färberei anzulegen. Als Kaufmann machte er namentlich in der Zeit von 1806 - 1813 gute Geschäfte. Er hatte unter anderen vor der Continentalsperre einen starken Posten Kaffee gekauft und als das Pfund einen Kronentaler (4,70 MK) kostete, verdiente er viel.

Vor Einquartierung und Kriegsnot blieb Waldeck verschont, 1813 kamen Franzosen durch, bald gefolgt von Kosaken, bei denen ein Baschkier war, der auf des Großvaters Scheune an einer Kette lag, damit er keinen Unfug machen konnte. Er riss einem Huhn, dass ihm zu nahe kam, den Kopf ab, trank das Blut und verzehrte das Tier sofort.

Nach der Schlacht bei Hanau kam die Frau Fennel aus Gelnhausen, ihr Mann war Bürgermeister und musste Napoleon über die Kinzigbrücke führen, als dieser sich davon überzeugen wollte, ob sie für Kanonen passierbar sei. Die arme Frau brachte eine Tochter mit, die durch Angst und Schrecken, den sie, während der Schlacht in einen Wald geflüchtet, ausgestanden hatte den Verstand verloren hatte. Die Frau starb nach wenigen Tagen, das Kind blieb bei den Großeltern.

Es ist Anfangs der 20er Jahre gestorben. Woher die Verwandtschaft mit Fennel stammt, der auch Weingutsbesitzer war, ob von Hellers oder Schmitts ist unbekannt. Ebenso diejenige mit Burghardi und Krug von Nidda. Burghardi wohnte in Fritzlar, Krug von Nidda war ordinierter Theologe und Rektor in Wildungen. Man erzählte, er habe ein Kind anstatt auf den Kopf auf die Füße getauft. Viele Flüchtlinge waren in Waldeckschen. Ein Herr Marette war Lehrer französischer  Sprache noch 1841 am Gymnasium zu Corbach. Monsieur Piperdelle sprach mit unverhohlener Verachtung  von dem kleinen Land und sparte, was er sparen konnte in seiner Stellung am fürstlichen Hof, um sein reiches Einkommen nach Frankreich zu senden.

Mein Vater Karl August Heller geb. 08.01.1802 besuchte die Schule seiner Vaterstadt bis zum 16. Jahre und ging dann nach Corbach durch das Wildunger Lyzeum bis zur Sekunda des Gymnasiums vorbereitet. Nach bestandenem Abiturium ging er nach Marburg um Theologie zu studieren, später nach Göttingen. In Marburg war er Burschenschaftler (Hessen‑Nassau). Er muss von seinem Vater mit Geld wohl versorgt gewesen sein. Neben seinem theologischen Studium beschäftigte er sich mit Musik und Pastellmalerei, er spielte sehr fertig Klavier und Flöte.

Sein Vater, der ihn bei einer Geschäftsreise besucht hatte, riet ihm, sich im Reiten zu üben, damit er als Pastor sich zu helfen wisse. Zu den Wegen nach den Filialen mussten auf sehr vielen Pfarrstellen von den Bauern Pferde gestellt werden. Ein Spazierritt nach Wetter wäre ihm fast lebensgefährlich geworden. Das geliehene Reitpferd, ein Koller, ging auf dem Rückweg nach Marburg mit ihm durch und sprengte mit ihm in dem Dorfe Großfelden auf dem ziemlich hochgelegenen Kirchhof die Treppe hinauf. Diese hatte 3 Absätze und jeder Absatz wohl 20 Stufen. Auf dem Kirchhof blieb das Pferd stehen. Er konnte absteigen und musste es nun nach Marburg führen.

In dieser Stadt erlebte er auch einen Fall von Hellsehen. Als ein Freund ihm klagte, dass ihm 2 Goldstücke gestohlen seien, gingen beide zu einem kranken Mädchen, auf dessen Hellsehen ein Prof. der med. Medizin aufmerksam gemacht hatte, um dasselbe über den Verbleib des Geldes zu befragen. Die Kranke bezeichnete die Wohnung eines guten Freundes des Bestohlenen und sagte das Geld sei nicht mehr vollständig da und liege zwischen der Wäsche in der mittelsten Kommodenschublade. Mein Vater hatte mehrere Stücke kleines Geld in der Tasche, welche er dem unbemittelten Mädchen gab und dem sie jedes einzelne Stück nach Gepräge und Wert bezeichnete, sobald er es in die Hand genommen hatte. Beide gingen nun zu dem Diebe, der Anfangs leugnete, dann aber gestand, dass er durch Spielschulden zu dem Diebstahl verführt sei. Sie verschwiegen sein Vergehen, aber mit der Freundschaft war es aus.

In Marburg studierte gleichzeitig der spätere Forstmeister Contze, der Pfarrer Fuldner, Onkel Gleisner, dessen Name wir später noch 1848 in einer Fensterscheibe fanden, als mich mein Vater nach Marburg begleitete, ferner Pfarrer Julius Schmitt und Prof. Hüter.

Später ging mein Vater nach Göttingen, wo er die Prof. Matthäi, Bialoplotzki und Prank hörte.

Er war ein reichbegabter, wissenschaftlich sehr gebildeter Mann, zwar etwas sanguinisch / kollerischen Temperaments, aber doch von reinster Herzensgüte und von seltener Bescheidenheit. Noch in Neerdar las er für sich den Prediger Salomonis in hebräischer Sprache. Theologisch war er in früheren Jahren mehr rationalistisch, in späteren supranaturalistisch.

Nach wohl bestandenem Examen wurde er Hauslehrer Bei Dr. Ellißen in Gartow bei Dömitz als Erzieher dessen einzigen Sohnes, des späteren Bibliothekars und Prof. in Göttingen, der auch als sehr links gerichteter Abgeordneter bekannt wurde.

Bei einer Sturmflut 1825 war bei Dömitz auf dem anderen Ufer der Elbe ein Walfisch von außergewöhnlicher Größe aufs Land getrieben. Der Vater fuhr hin, diesen zu besehen mit ihm mein Onkel Gustav Holm, Rentmeister des Grafen Bernsdorff. Die Elbe ging sehr hoch, als sie im Schiffe waren, und sie sahen, dass der Schiffer und auch der Knecht schwer betrunken waren. Doch kamen sie glücklich über. Der Finder, ein Schäfer, war schon mit dem Ausbraten der Zunge beschäftigt, so konnten sie denn in den Rachen des Walfisches sehen.

Auf der Reise in die Heimat sah er Auguste Helene Holm, Tochter des Amtsschulzen Gustav Adolf Holm zu Landwehrhagen, einem Grenzdorf zwischen Hannoversch Münden und Kassel, die ihn die Nacht zuvor im Traum gesehen hatte, wie er im schwarzen Rock und gelben Nankinghosen und mächtigem schwarzen Vollbart vor dem Hause stand. Obgleich die Mutter noch sehr jung war, so war doch diese Begegnung für ihr Leben entscheidend.

Der Amtsschulze Holm war 1776 in Calbe/Saale geboren, sein Stiefvater war Apotheker. Er wurde noch sehr jung Soldat, da er als Apothekerlehrling nicht gut tun wollte. Verheiratet war er mit Johanne Bergmann aus Halle/Saale. Diese starb 1840, nachdem ihr einziger Sohn Gustav Adolf, 32 Jahre alt ihr vorangegangen war, beide an Lungenentzündung.

Eine ältere Schwester Wilhelmine war an Pastor Löber in Urf , später in Malsfeld (Kurhessen) verheiratet. Nach Löber's Tode ging die Familie nach den Vereinigten Staaten. 1855 kam die Tante noch einmal mit 2 Kindern zurück, ging dann aber wieder nach Chicago und wir sind dann mit der Familie aus der Verbindung gekommen.

Der Großvater Holm war ein außerordentlicher kräftiger Mann mindestens 5 1/2 Fuß groß, als er im Alter von 60 Jahren infolge eines Schlaganfalles abmagerte, wog er doch noch 220 Pfund. Er ritt bis zum letzten Lebensjahre 2 Meilen nach Münden auf einem sehr kräftigen Mecklenburger, wenn es eilig war im Trapp und Galopp. Er verheiratete sich wieder im Jahre 1841 mit Maria Trischmann aus Treysa, zu deren Gunsten er auch sein Testament machte, das aber nicht gültig war. Die 2. Frau behielt die Pension und ging bei der Erbschaft mit den beiden Töchtern in gleiche Teile. Sie hatte dies mit der treuen Pflege des oft wunderlichen Mannes der stets eine sehr sanguinischen Temperaments wäre redlich verdient. Unsere selige Mutter hatte für ihn als Kind 1/4 Los der Hannoverschen Lotterie Nr.7713 gezogen, auf welches 13 000 Taler fielen.

Mein Vater war dann noch Hauslehrer bei dem Oberförster Michelis auf dem Tiergarten bei Sachsenhausen in Waldeck. Hier durfte er auch die niedere Jagd ausüben und nur angeschossenes Hochwild schießen, was ihm denn auch öfters begegnete, besonders wenn die Frau Oberförster über Mangel an Wildbrett klagte. Er hatte hier ein gemütliches leben und obwohl er nur ein Jahr dablieb, so blieb ihm doch, solange er lebte, die Familie befreundet.

Er wurde nun Pfarradjunkt in Mandern eine Stunde von Wildungen. Die Stelle brachte 300 Taler ein, von denen er 80 Taler und an Weizen, Roggen, Gerste und Hafer je 2 Mütte und ein fettes Schwein von mindestens 150 Pfund jährlich an den Emeritus in Wildungen abliefern musste.

Am 05.08.1827 feierte er seine Hochzeit und am 04.08.1828 wurde ich geboren.

Im ersten Amtsjahre grassierte in Mandern der Flecktyphus doch blieb der Vater verschont.

Vielen Ärger bereitete ihm die schlechten dem Trunke ergebenen Schullehrer, von denen der in der Filiale Wega die Decke in der Kanzel der Kirche mit Wasser begossen hatte, damit diese dem Vater während der Predigt auf den Kopf fallen sollte. Sie brach kurz vor Beginn des Gottesdienstes herunter.

Obgleich die Pfarrstelle sehr kümmerlich war, hatte doch der Vater in 6 Jahren 20 Taler Kapital gemacht. Wenn er auch in Wega und in dem Dorf Wenzigerode zu predigen hatte, so hatte er doch noch 2 Jahre den erkrankten Pfarrer Fuldner zu Wellen zu vertreten.

Etwa 1 1/2 Jahre nach meiner Geburt erkrankte meine Mutter, weil sie Eier einer Barbe gegessen hatte, eines in der Eder  vorkommenden Fisches, die in der Laichzeit giftig sind. Sie wurde durch rasch angewandte Mittel gerettet. Am 4. Tag nach Augustens Geburt fühlte sie sich so wohl, dass sie glaubte stricken zu können, aber die Folgen waren schrecklich. Sie bekam Magenkrämpfe, die sie nie wieder verlassen haben. Dazu kam Kopftose, wodurch ihr Gesicht einen schmerzlichen Zug bekam. In Folge dieser Krankheit verlor sie  auch ihr pracht­volles Haar, dessen Fülle sie nur künstlich auf ihrem Kopf zu verbergen suchte, und dass ihr aufgelöst bis auf die Knie reichte.

Sie war mit dem Vater von gleicher Größe, heiteren Gemüts und hatte ein vorzügliches Gedächtnis. Den Gothaeschen genealogischen Kalender hatte sie sozusagen inne. Was sie in Romanen gelesen, das gab sie so wieder, dass ich wirklich erstaunt war, als ich 1863 Coopers Romane las wie treu sie dem Pfadfinder in der Spinnstube die sie mit einigen Frauen hielt, erzählt hatte, wobei ich  zuhören durfte. Die Details der Handlung und der Unterhaltung waren mir bekannt.

Spinnen war ihre Freude und einige Ellen Leinen mussten jedes Jahr gewebt werden. Als einst der Flachs in die Eder gelegt wurde, um zu erweichen, badete ich und wurde fortgerissen.

Ich hielt mich noch an einem Pfahl fest und wurde gerettet. Da bekam die Mutter die Schelte später der Vater, als ich beim Heuladen überfahren wurde.

Die Mutter war von Herzen fromm, aber zu wenig weltklug und bedauerte stets ihre zu frühe Verheiratung. Als Mutter war sie gütig und nachsichtig gegen ihre Kinder, unermüdlich in ihrer Arbeit. Leicht anderen vertrauend, wurde sie oft betrogen.

Die lange Jahre vakant gewesene Stelle zu Neerdar wurde 1833 meinem Vater vom fürstlich Waldeck'schen Konsistorio in Gnaden gegeben.

Aus der fränkischen Bevölkerung kamen wir unter die Sachsen, deren Sprache wir kaum verstanden.

Nach 4 Wochen sprach ich plattdeutsch und war oft der Dolmetscher, für meine Mutter, die als geborene Göttingerin sich in das Plattdeutsche nicht finden konnte.

Der Umzug fand im Herbst statt. 26 Wagen kamen nacheinander, um Heu, Stroh, Frucht und Hausrat nach Neerdar zu bringen. Es war eine Entfernung von 10 Stunden, und wer das verstehen will, muss die alten Waldeck’schen Wege gekannt haben. Morgens um 2 Uhr brach die Karawane auf, abends um 8 waren wir in Neerdar. Die Familie fuhr auf einem mit einem Tuch überspannten Wagen, der dem Ortsvor­steher gehörte. Was nun von einem Wagen herab fiel, das wurde auf diesen Wagen geworfen, sodass der Raum immer beengter wurde, zum Schluss kamen noch 2 Gebünde Haferstroh. Die Bewohner Neerdars, welche längere Zeit keinen Pfarrer gehabt hatten, kamen dem Vater in freundlichster Weise entgegen. Die Familie wurde zunächst bei dem Richter (Ortsvorsteher) untergebracht. Das Pfarrhaus war vom Schullehrer bewohnt gewesen und Spaten und Hacke mussten erst ihre Arbeit tun, bevor man mit dem Schrupper in der Wohnstube anfangen konnte.

Der Lehrer war der deutschen Sprache nicht so mächtig, dass er ohne Anstoß hochdeutsch sprechen konnte und über die Rechnung mit ganzen Zahlen war er nie hinausgekommen.

Vergebens waren die Bemühungen meines Vaters, ihm das Geheimnis der Bruchrechnung klarzumachen.

Den Mangel einer Orgel ließ seine mächtige Stimme nicht empfinden. Dass in dem Dorfe eine Diebesherberge war, war eher ein Schutz als eine Gefahr, denn diese duldeten keine Schädigung der Dorfbewohner durch Fremde. Abgesehen von dieser Familie waren die Einwohner durch­weg bieder und rechtschaffen. Es wurde fleißig gebetet, die Bibel war ein Hausbuch und der Kirchenbesuch war rege. Dabei waren es fleißige Arbeiter, schlicht und anspruchslos die auf Zucht und Sitte, hielten. Familienfeste wurden mit Schmausereien gefeiert, selbst bei Sterbefällen durfte ein Mahl nicht fehlen.

Eine Tauschhochzeit, deren ich mich genau erinnere, dauerte 3 Tage. Ein Ochs, ein Schwein, 6 Schafe, 2 Kälber und 1 größere Anzahl Gänse und Hühner wurden ge­schlachtet und verzehrt. Was vom Tisch getragen wurde, wurde in großen Mollen auf die Scheune geschafft für die Armen, die sich zahlreich von den umliegenden Ortschaften eingefunden hatten. Zu selbst ge­brautem Bier wurde Branntwein, mit Honig vermischt, vorgesetzte Musik fehlte natürlich nicht und es wurde munter getanzt. Am 3. Tage stieg der Mann auf sein Pferd und hinter dem Mann, sich an ihm haltend die junge Frau, so ritten sie davon.

Die Gegend war rau. der Boden wenig ergiebig. die Wiesen meist schlecht. An der Landwirtschaft war nichts zu ver­dienen und die in Mandern verdienten 20 Taler gingen in Neerdar wieder drauf. Es muss den Eltern wohl schwer geworden sein, sich in die Einsamkeit zu finden, da sie in Mandern durch die Nähe von Wildungen doch Verkehr hatten. Dazu kam, dass der Vater häufig an Hals­entzündungen litt, die Mutter an Magenkrämpfen, und ich lag todkrank an einem Gallenfieber, erst in Wildungen, dann in Neerdar. Um für mich Arznei zu holen gingen 2 starke Männer nach dem etwa 2 1/2 Stunden entfernten Corbach bei Schnee des morgens um 4 Uhr ab und kamen erst um 9 Uhr abends wieder, obgleich sie sich nur kurze Zeit hatten auf­halten müssen.

( Soweit hat der älteste Sohn Adolf Christian Carl HELLER des Pastors Karl August HELLER die Familienchronik geführt.)

Anmerkung :

Karl August Heller ist der Ur Ur Ur Ur Groß-Vater von Julia und Davina Götting

Caspar Heller (1572)

- Moritz Heller (1613)

  - Conrad Heller (1665)

    - Johann Conrad Heller (1688)

      - Conrad Johann Heller (1727)

        - Johann Moritz Heller (1768)

          - Karl August Heller (1802)

            - Ernestine Wilhelmine Heller (1834)

              - Anna Emilie Elisabeth Krumm (1873)

                - Mathilde Amelia Marie Leinhoß (1906)

                  - Christiane Ulla Mathilde Schmidt-Clarner (1937)

                    - Michael Achim Götting (1962)

                      - Julia Götting (1994) , Davina Götting (1996)
 

 

 

 

Die St. Johannes-Kirche in Adorf

  

Adorf ist heute Verwaltungsmittelpunkt der Großgemeinde Diemelsee. Im Mittelalter war Adorf ein befestigter Marktort mit einer Burg in seiner Mitte und einer starken Wehrkirche. Selbst der Kirchhof oberhalb der Kirche wurde durch eine hohe Bruchsteinmauer geschützt.
Die Kirche ist wahrscheinlich eine Gründung des Klosters Corvey. Sie wurde 1180 bis 1190 erbaut und gehört zu den ältesten Stammpfarreien im nördlichen Waldeck. Bis 1215 war Adorf Sitz eines Archidiakons. Zu seinem Amtsbereich gehörten neben Adorf die Pfarreien Heringhausen, Flechtdorf, Schweinsbühl, Eimelrod und Usseln. Nach Auflösung des Archidiakonats wurde die Pfarrei dem Archidiakonat Horhusen (Niedermarsberg) eingegliedert.
Das Kirchengebäude ist eine gut erhaltene querschifflose Gewölbebasilika. Eindrucksvoll sind ihre einfachen aber kräftigen Formen. Wuchtig steht der kubische Block des Westturmes mit seinem Pyramidenhelm vor dem Kirchenschiff. Das Baumaterial besteht abgesehen von einigen Sandsteinen aus Kalkstein von der Hochfläche ostwärts von Adorf. Eine Pforte an der Südwand des Turmes war ursprünglich der einzige Zugang zum Innenraum. Der Eingang an der Nordseite des Langhauses besteht erst seit dem 18. Jahrhundert.
Das Hauptschiff ist in drei Joche mit querrechteckigem Grundriss unterteilt. Spätere Baumaßnahmen sind die Strebepfeiler und Schwibbögen, die dort ansetzen, wo außen am Obergaden Blendnischen mit Doppelbögen die Jochgrenzen andeuten. Das mächtige Satteldach überdeckt auch das Chorquadrat. Die Seitenschiffe lehnen sich mit ihren Pultdächern an die Längsseiten des Mittelschiffs. Das nördliche endet mit einer Nebenapsis, das südliche hatte zunächst auch eine Absidiole. Die rundbogigen Obergadenfenster sind deutlich größer als die kleineren Fenster der Seitenschiffe. Ein nach unten verlängertes Fenster lässt auf beiden Seiten Licht in den Chorraum fallen. An der Ostwand schließt ihn eine halbrunde Hauptapsis mit einem halbkugeligen Dach ab. Ein Rundbogenfries unter seiner Traufe schmückt die Abrundung der Außenwand, die durch die verhältnismäßig großen Fenster unterbrochen wird.
Im Innenraum ist der Chor durch einen weiten gedrückten Triumphbogen vom Mittelschiff getrennt. Dieser wird von den auf hohen Sockelpfeilern stehenden Rundsäulen mit Würfelkapitellen getragen.
An den Seitenwänden des Chorraumes sind Reste der abgebrochenen Empore aufgestellt. Sie zeigen biblische Szenen und Wappen. Dahinter hat Gestühl Platz gefunden, ähnlich wie hinter der Arkadenwand in Goddelsheim.
Das Mittelschiff ist, wie in der Beschreibung des Äußeren der Kirche gesagt, in drei im Grundriss querrechteckige Joche unterteilt. Die Hauptpfeiler sind längsrechteckig im Querschnitt und nehmen die abgetreppten Vorlagen der kräftigen leicht gedrückten Gurt- und Schildbögen auf, die das kuppelige Kreuzgewölbe mit zum Scheitel hin laufenden Graten tragen. Auf jedes der drei Mittelschiffsjoche, an zwei Seitenschiffsjoche, die wegen der geringen Breite im Grundriss rechteckige sind. Gurtlose Kreuzgratgewölbe, die auf Wandpfeilern aufsetzen, durchlaufen die Seitenschiffe und von Westen nach Osten.
Durch ihren Reichtum an ornamentalen Formen nimmt die Kirche von Adorf eine Sonderstellung ein und lässt den Einfluss von St. Godehard in Hildesheim erkennen. Die Bauornamentik ist noch derb und charakteristisch für die Formen der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die Würfelkapitelle der Rundsäulen sind mit flachen Reliefs in Form von Palmetten- und Flechtbandmustern geschmückt. Die Kämpfer der Haupt- und Nebenpfeilern zeigen plastische Relieffriese. Es wechseln naturalistische Palmetten- und Blattrankenfriese mit Schachbrettmustern ab.
Daneben gibt es auch einfachere Kämpferprofile mit Platte, Plättchen, Hohlkehle und Wulst, wie zum Beispiel an den Mittelstützen. Eine Besonderheit stellt ein Horizontalgesims dar, das die Seitenwände des Mittelschiffs gliedert. Es verläuft in Höhe der Kämpferplatten der Hauptpfeiler unmittelbar unter den Sohlbankschrägen der Obergadenfenster.
Ins Auge fallende Ausstattungsstücke sind Altaraufsatz und Kanzel. Der hohe geschnitzte Altaraufsatz wird von einem großen Kruzifix gekrönt. In der Mittelzone ist zwischen zwei gedrehten Säulen ein in Öl gemaltes Altarblatt angebracht, das das heilige Abendmahl darstellt. Diese Arbeit wurde gegen Ende des 17. Jahrhunderts (1660) geschaffen. Die Kanzel mit Schalldeckel steht auf einem vierflügeligen Pfeiler und hat im Korb geschnitzte Blendfüllungen in Arkadenform. Rahmung und Innenfeld sind mit Beschlagwerk und Intarsien geschmückt. Auf einem Innenfeld ist das Waldecker Wappen und die Jahreszahl 1610 zu sehen. Im Chorraum ist eine Sakramentsnische aus gotischer Zeit eingelassen. In einem reich verzierten Kielbogenrahmen eingepasst, wird sie durch eine hübsche Gittertür verschlossen.

 

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Michael Götting